Montag, 14. Februar 2011

Kultur vs. Natur

Zurzeit ist mein Vater zu Besuch, und weil wir uns so selten live und in Farbe sehen, unternehmen wir sehr viel zusammen. Heute waren wir in Trassenheide, dort gibt es eine Schmetterlingsfarm, die größte Europas! :) Wir haben dort gut und gerne drei Stunden damit verbracht, Schmetterlinge zu beobachten und tropische Pflanzen zu bewundern, ohne uns zu langweilen, ich denke, das gibt eine etwaige Vorstellung von der Größe und Schönheit. Mir sind auch tatsächlich so einige Lichter aufgegangen.

Natürlich ist es nicht möglich, alles zu sehen, v. a. weil die Tiere eben doch relativ scheu sind. Aber ein paar Schmetterlinge habe ich gesehen, z. B. den Bananenfalter, den Himmelsfalter und den Schwalbenschwanz. Besonders beeindruckt hat mich der Himmelsfalter, erstens wegen seines Namens und zweitens wegen seines Aussehens. Wenn die Flügel geschlossen sind, sieht er in der Tat nicht sehr spektakulär aus, braun mit ca. sieben Augen als Abschreckung für Feinde. Aber sobald er die Flügel öffnet, bleibt einem die Spucke weg! Blau mit braun am Rand, und was für ein blau, irgendetwas zwischen himmelblau und königsblau. :) Er heißt nicht umsonst Himmelsfalter, so viel steht fest. Ich bin überzeugt davon, dass diese Tiere so etwas wie Engel in Tierform sind, die Wünsche erfüllen können! Keine Ahnung, warum, aber diese Überzeugung durchzuckte mich, als ich ein Exemplar davon sah. Ich hab mir auch sofort etwas gewünscht, mal sehen, ob was draus wird.
Was mich auch sehr beeindruckt hat, war eine orangene Blume, leider weiß ich nicht, welchen Namen sie hatte. Sie sah noch nicht mal sehr kapriziös (oder so) aus, aber das Orange strahlte so überirdisch schön und von innen, dass - nun ja, mir wurde auf einmal klar, dass der Mensch immer unfähig sein wird, ein solches Maß an Schönheit und Zartheit zu imitieren. Denn alles ist eine Imitation der Natur, noch dazu eine schlechte. Alles Künstliche und Künsterische hat irgendeine Naturerscheinung zum Vorbild und wird doch immer nur ein Abbild dieser Erscheinung sein können. Zu mehr wird es niemals reichen. Der Mensch neigt leider dazu, Blumen, Tiere etc. mit künstlichen, von ihm erschaffenen Dingen zu vergleichen, aber das ist falsch und geradezu eine Sünde, denn es müsste umgekehrt sein. Nicht "diese Blume sieht aus wie jenes Gebäude", sondern "dieses Gebäude sieht aus wie jene Blume". Da jedoch unser Erfahrungsbereich sich hauptsächlich auf die Kultur beschränkt, sind wir unfähig, die Natur mit etwas anderem zu vergleichen. Die Beschreibung "diese Blume sieht aus wie diese Blume" wäre ja völlig nutzlos, niemand könnte sich etwas darunter vorstellen.
Eine weitere Sache, die sehr interessant war: es gab einige Informationstafeln über die Banane an sich. Die meisten kennen ja nur die Speisebanane, Musa Nana, allerdings gibt es noch die Kochbanane (so eine art tropische Kartoffel), die im rohen Zustand absolut ungenießbar ist. Und nicht zu vergessen die Faserbanane (Musa Textilis), aus der u.a. Netze und Ähnliches hergestellt wird. Eine weitere unbekannte Tatsache ist, dass Bananen gegen Katererscheinungen helfen. :)
Überhaupt ist die Natur in vielem wesentlich einfallsreicher und perfekter als die Kultur. Ich bin überzeugt davon, dass selbst das beste Labor es nicht schaffen wird, eine Schefflera Actinophylla (kleine Blume, ein wenig wie bordeaux-roter Waschsamt, von der Blütenform her wie ein umgedrehter Bleistiftrock) originalgetreu synthetisch nachzubilden, sodass man sie nicht mehr vom Original unterscheiden könnte. Alles, was der Mensch erschafft, ist immer nur eine billige Kopie der Natur, auch die Kunst. Ein Portrait kann niemals die dargestellte Person so zeigen, wie sie ist. Kein Foto kann genau die Farbe widergeben, die unser Auge gesehen hat.

Schade ist allerdings, dass viele Leute gänzlich gedankenlos hindurchgelatscht sind, ohne zu begreifen, dass die Natur das größte Wunder ist, was es auf diesem Planeten gibt. Dabei grenzt es schon an ein Wunder, dass aus der Erde etwas Grünes hervorsprießt, und ein noch größeres Wunder ist es, dass aus diesem Grün eine Blüte mit enormer Leuchtkraft (die kein chemisches Mittel hervorgerufen könnte) herauswächst. Zu denken, dass der Mensch die Meisterleistung der Natur sein soll! Ganz im Gegenteil, der Mensch ist das Rückständigste überhaupt: er hat sich seit gut und gerne tausend Jahren kaum weiterentwickelt, ist kein Stück an seine Umwelt angepasst und wird mit jedem technischen Fortschritt hilfloser, eingeschränkter und abhängiger von seiner kulturellen Scheinwelt. Wir haben uns eine Kunstwelt erschaffen, von der wir so abhängig sind, dass wir eines Tages mit ihr untergehen werden. Die Natur wird das nicht, sie wird niemals untergehen, weil sie täglich stirbt und täglich wiedergeboren wird.

In diesem Sinne,
die Sojabohne.

Dienstag, 1. Februar 2011

"Das Leben"

Vor ungefähr fünf Jahren habe ich noch in München gelebt, das war ein vollkommen anderes Leben. Anderer Lebensrythmus, andere Mitmenschen, andere Einflüsse. Und ich hatte eine ganz andere Persönlichkeit, aber das würde zu weit führen. Wie auch immer, ich hatte damals Klavierunterricht bei einem Privatlehrer, mein Vater konnte sich das freilich leisten. Eigentlich ein ziemlicher Luxus, wenn ich mir das jetzt vor Augen halte. Ich hatte auch ein richtiges Klavier von Yamaha, das hab ich zwar immer noch, aber es steht in München herum, bis ich es abholen lasse.
Wie auch immer, mein Privatlehrer war ein tschechischer Pianist, ein richtiger guter sogar. Er hatte bereits mit sechs Jahren angefangen, Klavier zu lernen, und das war zu merken. Wirklich, wenn er gespielt hat, hatte ich immer große Lust, die Augen zu schließen und einfach nur zuzuhören, aber das hab ich nie getraut. Ich glaube, ich hatte damals große Furcht, zu viel von mir selbst und meinen Emotionen zu zeigen. Ich habe ihn sehr bewundert und gern gehabt. Ich weiß noch, dass er einmal, an meinem Geburtstag, wie ein arabischer Wüstennomade gekleidet zum Unterricht kam, das dazugehörige Foto habe ich leider nicht mehr. Ein anderes Mal hat er sich als tschechischer Polizist verkleidet, aber diese Aufmachung hat mir gar nicht gefallen.
Überhaupt war er sehr geduldig und menschlich! Ich denke nicht, dass ich sehr fleißig geübt habe, zumindest nicht mehr, als ich 14 Jahre geworden bin. Im Nachhinein glaube ich, dass die Klavierstunden mit die schönsten Kindheitserlebnisse waren, die ich hatte!

Er hatte fast jede Woche ein anderes Dienstauto, denn er hatte einen japanischen Sponsor, der ein Haus in einem ziemlich teuren Münchner Bezirk hatte. Dort fanden auch alle sechs Monate Konzerte statt, bei denen jeder seiner Schüler ein oder zwei Stücke spielen musste. Er hatte viele Schüler, vielleicht 30 oder so, und er hat nicht jeden genommen. Nur welche mit Talent. Er meinte immer, ich hätte durchaus Talent, aber ein wenig mehr Fleiß stünde mir gut.
Doch zurück zum Thema Dienstauto; manchmal hat er mich ein Stück mitfahren lassen, bis zur nächsten Kreuzung, wenn ein Modell mir besonders gut gefallen hat und ich wissen wollte, wie es sich darin sitzen ließe. Einmal hatte er z.B. ein englisches Taxi, eins mit Einstiegshilfe. Also quasi ein Trittpedal, das an der Seite des Wagens angebracht ist, damit man beim Einsteigen auch nicht den Fuß heben muss. Man hatte tatsächlich das Gefühl, wesentlich größer und wichtiger als alle anderen zu sein, wenn man in so einem Gefährt saß.

Obwohl ich nicht viel geübt habe, hat er mir sehr viel beigebracht und ich habe all das über Jahre hinweg nicht verlernt. Es gibt ein Lied, was er mir gezeigt hat, ohne das ich gar nicht mehr leben könnte, "Die Brecher". Von wem, keine Ahnung, aber es ist so, als würde dieses Lied mein gesamtes Leben auf einen Punkt bringen. Ich spiele es zwar nicht mehr so oft wie früher, aber allein die Tatsache, dass es existiert, gibt mir eine ungeheure Kraft.

Aber eigentlich wollte ich über eine konkrete Erinnerung berichten. Einmal spielte er mir ein Stück eines tschechischen Komponisten vor und fragte mich hinterher, welchen Titel dieses Stück wohl hätte. Es war sehr modern, so viel weiß ich noch. Eben diese moderne Art der Klassik, die jetzt ganz groß im Kommen ist und in den meisten Fällen klingt wie sinnfreies Gedudel. Aber dieses Stück war nicht so, sondern hatte durchaus eine Aussage. Ich hab minutenlang herumgerätselt, ich glaube, Schweigen ist mir noch nie so leicht zu gefallen. Irgendwann hatte ich dann eine Art Geistesblitz und ich sagte: "Das Leben."
Jedenfalls, ich lag richtig und er freute sich total, dass ich das erkannt hatte. Und seitdem mir diese Situation wieder eingefallen ist, habe ich eine unglaubliche Sehnsucht danach, dieses Stück wieder zu hören. Allerdings habe ich keinen Kontakt mehr zu ihm und ich weiß auch nicht, wie der Komponist heißt. Und selbst wenn ich es wüsstte, es wäre nutzlos, denn der Mensch ist so unbekannt, dass sein Stück bestimmt nicht leicht zu finden ist.

So, das wollte / musste ich loswerden. :)

In diesem Sinne,
die Sojabohne.